Es weihnachtet sehr

Ich gebe es zu, ich bin ein Weihnachstfan. Oder genauer gesagt ein Vorweihnachtsfan. Ich mag die Adventszeit, und meist beleuchte ich schon ab Anfang November mein Schlafzimmer mit einer Lichterkette. Spätestens am 1. Advent hängt dann auch der Herrenhuter Weihnachtsstern, den mir meine Nachbarin vor Jahren geschenkt hat, in meinem Fenster – ganz klassisch in Weiß. Ich mag zwar die Farbe Lila, aber ein Stern in Violett – die Herrenhuter-Sonderedition dieses Jahres – geht gar nicht. Ich tue mich ja schon mit den roten und gelben Sternen im Wintergarten und im Wohnzimmer schwer.

Klassisch mag ich es auch bei Weihnachtsmusik: In der Vorweihnachtszeit starte ich meist mit Bach, Händel, Corelli und Co in den Tag. Ich liebe das Weihnachtsoratorium von Bach, aber morgens früh bevorzuge ich sanftere Töne wie Air von Edvard Grieg oder Georg Friedrich Händel, Siciliano oder Ave Maria von Bach oder das Largo von Antonio Vivaldi. Die Musikstücke habe ich zugegebenerweise nicht selbst ausgewählt – von Musik verstehe ich nämlich leider noch weniger als von Kunst. Aber ich besitze diverse CDs mit Titeln wie Weihnachts- oder Christmas-Meditationen, die ich in der Weihnachtszeit immer wieder höre. Und ja: ich nutze noch CDs, die ich auf altmodischen CD-Playern abspiele. Nur für unterwegs habe ich meine Lieblingsstücke auf dem Smartphone abgespeichert. In diesem Jahr stehen auch drei Live-Konzerte mit weihnachtlicher Musik auf meinem Vorweihnachtsprogramm.

Für den Adventskranz ist mein Mann zuständig: Er kauft jedes Jahr vor dem ersten Advent einen großen Kranz und schmückt ihn dann mit Kerzen und Bändern, so, wie er es als Kind bei seiner Mutter gesehen hat.

Früher musste unser Adventskranz die meiste Zeit im Wintergarten ausharren, nur die Wochenenden durfte er in der Wohnung verbringen. Wahrscheinlich war ihm das sogar recht. Denn im warmen Wohnzimmer verlieren Tannenzweige schnell ihre Nadeln; im kühlen Wintergarten bleiben sie dagegen lange frisch. Wenn dann an Weihnachten die Zeit der Adventskränze vorbei war, waren unsere immer noch so grün wie am ersten Tag. Aber wer braucht nach Weihnachten noch einen Adventskranz, der aussieht wie neu? Dieses Argument war letztendlich schwer zu entkräften. Und so darf der Adventskranz jetzt meist im Wohnzimmer bleiben – dass er schon am zweiten Advent ein wenig nadelt, nehme ich gerne in Kauf.

Der Adventskranz gehört bei uns zum Advent, einen Adventskalender hatte ich dagegen seit Jahren nicht mehr. In diesem Jahr hat mein Mann mir einen zum Geburtstag geschenkt – und er ist nicht der einzige geblieben. In einem Blogbeitrag hat Judith Peters nämlich fast 80 digitale Adventskalender zu unterschiedlichen verlinkt – und ich habe einige abonniert. Jetzt erhalte ich 24 Tage lang unter anderem Tipps, wie ich Ordnung schaffen, meinen Blog für Suchmaschinen sichtbarer machen, achtsamer leben, Neues wagen und entspannter schreiben kann.

Wirklich gespannt bin ich auf die Impulse zu den Sperrnächten, die Denise Fritsch ab kommenden Montag versendet. Die Rauhnächte kenne ich schon lange, die zwölf Nächte „zwischen den Jahren“ sind für mich eine besondere Zeit. Von den Sperrnächten hatte ich dagegen noch nichts gehört. Sie beginnen, so Denise Fritsch, am 8. Dezember und enden am 21. Dezember, am Tag der Wintersonnenwende. Sie stehen wie die Rauhnächte symbolisch für die zwölf Monate des Jahres, allerdings für die des zu Ende gehenden. „In ihnen dürfen wir abschließen, was vergangen ist. ‚Sperren‘ heißt in diesem Sinne: das Alte bewusst beenden, Frieden schließen und Platz schaffen – für das Neue, das kommen darf.“ Die Sperrnächte sind eine Zeit des Loslassens – und das gehört bisher gerade nicht zu meinen Stärken. Aber ich lasse mich gerne überraschen.

Diesmal zur Weihnachtszeit

Morgen ist der vierte Advent, und auch in diesem Jahr sieht unser Adventskranz  ein paar Tage vor Weihnachten noch aus wie neu. Er ist so grün wie am ersten Adventssonntag und er nadelt kaum.

Wer schön sein und jung aussehen will, muss bekanntlich leiden. Diese Weisheit aus dem menschlichen Leben gilt wohl auch für Adventskränze. Und so muss unser armer Adventskranz  einiges erdulden, um sein jugendliches Aussehen zu bewahren.  Mein Mann taucht ihn regelmäßig in unsere Regenwassertonne, damit er frisch bleibt. Außerdem verbannt er ihn während der Woche aus dem gemütlich warmen Wohnzimmer in den sehr kühlen, weil ungeheizten Wintergarten. Erst zu Beginn des Wochenendes  holt er den Kranz für zwei Tage aus seinem kühlen Exil hervor – und ab dem vierten Advent  darf er dann im Wohnzimmer bleiben. Ob er sich darüber freut? Oder ob er ahnt, dass seine Zeit  unaufhaltsam zu Ende geht?  Denn nach Weihnachten braucht niemand mehr einen Adventskranz  – auch wenn er noch so gut erhalten ist. Und bis zum nächsten Advent hält ein echter Adventskranz auch bei bester Pflege nicht durch.

 

Draußen im Garten blühen – passend zur Jahreszeit – die Christrosen in Weiß und in Zartrosa. Die letzte richtige Rose ist dagegen fast verblüht – die Rosenzeit ist ja eigenlich schon längst vorbei.

 

Die Himbeere scheint dagegen völlig aus der Zeit gefallen – sie trägt ihre Früchte in diesem Jahr zur Weihnachtszeit. Vielleicht liegt es daran, dass wir den Strauch erst im Frühsommer gepflanzt haben und er seinen Rhythmus noch nicht gefunden hat. Vielleicht profitiert er auch von dem sehr geschützten Standort auf der Südseite des Hauses, direkt neben den Wintergarten.

Das schlechte Wetter und auch die frostigen Nächte im November haben den Früchten, so scheint es, nichts ausgemacht. Sie sind trotzdem rot und reif geworden, können geerntet und gegessen werden. Und zumindest die Farben – Rot und Grün – passen zur (Vor-)Weihnachtszeit.

Das vorwitzige Fenster

Gestern habe ich meine Mutter im Altenheim besucht: Das ist nichts Besonderes, denn das tue ich seit ihrem Umzug im Januar meist dreimal in der Woche.

„Wie schön, dass endlich mal jemand kommt“, sagte sie, so als habe sie schon lange niemanden von uns gesehen. Dass meine jüngere Schwester und ihre Tochter sie am Tag zuvor besucht haben, hat meine Mutter längst vergessen. Und leider hat meine Schwester vergessen, den Besuch in den Kalender einzutragen, der meiner Mutter hilft, sich zu erinnern, weil ihr Gedächtnis sie immer häufiger im Stich lässt. Meine Mutter schaut mich zweifelnd an, als ich sie an den Besuch erinnere. „Wirklich?“, fragt sie. Überzeugt ist sie nicht – und zufrieden auch nicht. Ich versuche, sie auf andere Gedanken zu bringen.

„Schau was ich dir mitgebracht habe“ sage ich und packe den Adventskranz aus, den mein Mann für sie gekauft hat. Er ist aus Plastik, sieht aber, das muss ich, bekennende Hasserin künstlichen Tannenschmucks, täuschend echt aus. Dass er überhaupt nicht duftet, merkt meine Mutter nicht: Sie hat wie viele alte Menschen ihren Geruchssinn verloren. Und auch den guten Geschmack, wie es scheint. Denn die vielen bunten LEDs, von denen meine Tochter sicher behaupten würde, dass sie Augenkrebs verursachen, gefallen ihr gut – und machen sie fröhlich.

„Wie schön“, sagt sie. „Sag deinem Mann herzlichen Dank. Und grüß ihn schön, wenn du ihn siehst.“ An seinen Namen erinnert sie sich oft nicht mehr, obwohl sie ihn seit mehr als 30 Jahren kennt und er sie öfter besucht.

„Welchen Monat haben wir eigentlich“, will meine Mutter wissen. „November“, sage ich. Und am nächsten Sonntag ist der erste Advent. Deshalb habe ich dir ja auch den Adventskranz mitgebracht.“

„Schön“, wiederholt sier und berührt die Zweige vorsichtig. Sie pieksen nicht und die bunten Lichter bleiben, LED sei Dank, auch dann kalt, wenn sie stundenlang brennen. Der Adventskranz ist kinder- und altensicher. Trotzdem frage ich später im Büro des Altenheims nach, ob ich ihn stehen lassen kann.

„Wo bin ich hier eigentlich“, will sie dann wissen. „Und wie bin ich hierher gekommen?“

Diese Frage stellt meine Mutter immer wieder und ich beantworte sie ihr sicher zum zehntausendsten Mal. Dass sie in einem Altenheim in der Nähe von Hannover ist und dass sie seit Anfang des Jahres hier lebt, weil sie alleine nicht mehr in dem Haus an der Mosel leben konnte – mehrere Hundert Kilometer von ihren Kindern entfernt. „Hier bist du versorgt und wir können dich oft besuchen“, sage ich.

Ich zeige ihr im Kalender, wie viele Besuche seit Anfang des Monats darin vermerkt sind: Drei von meinen Schwestern, die in Berlin bzw. Hamburg leben, etwa zehn von mir. Denn ich wohne im Nachbarort und brauche mit dem Bus nur etwa eine halbe Stunde. „Ich bekomme ja wirklich viel Besuch“, sagt sie und schaut sich um. „Und  es ist ja auch schön hier. Ich habe alles, was ich brauche: meine Möbel, den Fernseher und ein vorwitziges Fenster.“

Der Ausdruck gefällt mir und ihr hat das Fenster von Anfang an gefallen: Es reicht bis zum Boden. Die Gardinen sind – anders als in ihrer alten Wohnung – meist zurückgezogen, geben den Blick nach draußen frei. „Von hier aus kann ich alles sehen, was draußen passiert. Die Autos, die Leute, die vorbeigehen. Das ist schön“, sagt sie und schaut hinaus. Gerade geht eine junge Frau mit ihrem Kind vorbei, meine Mutter sieht ihr nach.

In den ersten Monaten ist sie noch selbst zum Supermarkt gegangen oder zu dem Café an der Hauptstraße. Jetzt schafft sie es nicht mehr und sie begnügt sich mit dem Blick aus dem Fenster. Er genügt ihr. Sie genießt ihn. Denn er verbindet sie mit dem Leben, an dem sie selbst nicht mehr teilhaben kann, aus dem sie sich immer mehr zurückzieht.

Und mir fällt ein, was die Leiterin eines kleinen Altenheims erzählte, die ich vor Jahren interviewt habe. Besonders begehrt seien die Zimmer zur Straße. Ein Zimmer mit Blick zum Garten wollten die wenigsten alten Menschen. Dass die Straßenzimmer lauter waren, störte sie nicht, im Gegenteil: Sie sagen: „Ruhe habe ich bald genug.“ Das sollten sich all diejenigen merken, die Altenheime auf Bauernhöfen, am Stadtrand, auf der grünen Wiese planen, bauen und betreiben – jwd, weit ab von allem.