Es gibt Worte und Sätze, die man nie vergisst, die einen begleiten, im Gedächtnis eingebrannt sind. Oft denkt man lange nicht an sie, doch dann kommen sie wieder hervor, wie ein Springteufel, dieses Kinderspielzeug, das aussieht wie eine harmlose Kiste und aus der dann eine Figur herausspringt, meist ein Teufel oder ein Clown.
Manchmal sind es ganz alltägliche Worte, von denen man nicht ahnte, welche Bedeutung sie haben würden, als man sie aussprach. „Man sieht sich“, habe ich vor mehr als 30 Jahren zum Vater eines Mädchens – nennen wir es Jule – gesagt. Jule und meine Tochter waren in der gleichen Trainingsgruppe, und während die Kinder sich beide bis ins Finale er Bezirksmeisterschaften spielten, unterhielt ich mich mit Jules Eltern. Sie wohnten im Nachbarort; wir kannten uns bis dahin nur vom Sehen und hatten nur gelegentlich ein paar Worte gewechselt, wenn wir unserer Töchter abholten. Wir verbrachten einen schönen Nachmittag, verstanden uns prächtig und wollten unser Gespräch bei nächster Gelegenheit fortsetzen.
Als wir am nächsten Tag weder Jule noch ihre Eltern auf dem Tennisplatz trafen, dachte ich mir nichts dabei. Die Anlage ist groß, und unsere Kinder spielten in verschiedenen Altersklassen. Jules Spiel sollte Stunden später stattfinden, als meine Tochter ihr Finale schon gewonnen hatte und wir wieder zu Hause waren.
Am Montag überbrachte meine Tochter die schlimme Nachricht: „Jules Vater ist tot“, sagte sie, als sie vom Training nach Hause kam, und sofort fiel mir siedend heiß ein, wie ich mich verabschiedet von ihm verabschiedet hatte. Und nicht nur mir. „Ich muss immer daran denken, was du zuletzt zu ihm gesagt hast“, sagte Jules Mutter zu mir, als wir uns zum ersten Mal wieder trafen und ich ihr sagte, wie leid es mir tue. Seither meide ich diesen Satz, als hätte er das Unglück heraufbeschworen, und auch noch nach mehr als 20 Jahren zucke zusammen, wenn jemand zu mir sagt „Man sieht sich“.
Als ich hörte, dass Thomas Oppermann gestorben ist, war die Erinnerung an sofort wieder da. Die Nachricht hat mich betroffen gemacht und sie lässt mich irgendwie nicht los. Ich kannte Thomas Oppermann nicht persönlich, nur aus dem Fernsehen. Er war mir sympathisch, ich schätzte ihn als Politiker, mochte seine Art, zu diskutieren. Vielleicht hätte ich mir deshalb auch die Sendung angesehen, bei der er auftreten sollte. Doch dazu kam es nicht mehr.
Man sieht sich leider nicht immer.
PS: Ich habe lange überlegt, welchen Titel ich diesem Beitrag geben sollte, und ich habe den Satz, um den es geht, hingeschrieben und wieder gelöscht. Er ist für mich eine Art Voldemort, etwas, das ich nicht aussprechen mag. Ich habe den Text in Memoriam genannt – Reminiszenz an Jules Vater, an Thomas Oppermann, an drei Trainingskameraden, die in den vergangenen Jahren gestorben sind, und an ein Buch von Connie Palmen, das ich sehr mag.