2020 ein halb

Ja, ich weiß. Ich bin (wieder) ein bisschen spät dran, aber besser spät als nie. Und was kann ich dafür, wenn die Zeit so dahinrast? Aber das tut sie eigentlich schon immer: Einzweidrei im Sauseschritt, läuft die Zeit, wir laufen mit, hat schon Wilhelm Busch (https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/Busch/Aphorismen/sausesch.htm) vor fast 150 Jahren gedichtet, in einer Zeit also, die uns rückblickend als viel gemächlicher scheint als unsere. 

Aber zurück zum Thema: 2020 einhalb. Halbzeit, das Jahr ist wieder halb vorbei, und wie im vergangenen Jahr geht mir Reinhard Meys Lied „71 einhalb“ nicht aus dem Sinn. Was ist also „aus all dem geworden, was ich mir am Neujahrsmorgen ganz fest vorgenommen hab?“

Hat prima geklappt, könnte ich sagen, denn anders als in den letzten Jahren habe ich in diesem Jahr wohlweislich keine festen Vorsätze notiert. Weder im Blog noch in den Morgenseiten noch im Tagebuch, womit ich bei den Dingen wäre, die ich wirklich fast immer tue und die ich auch durchgehalten habe: Morgenseiten- und Tagebuchschreiben. Das tue ich nämlich wirklich (fast) täglich: Die Morgenseiten fallen eigentlich nur aus, wenn ich ungewohnt früh aus dem Haus gehe. Doch wenn die Morgenseiten einmal ausfallen, schreibe ich eigentlich immer in mein Tagebuch. Das habe ich, anders als meinen Computer, fast immer dabei. Mit meinen anderen Schreibprojekten hinke ich dagegen wie im vergangenen Jahr leider hoffnungslos hinterher.

Immer dabei: mein Tagebuch

Bei den Blogbeiträgen habe ich mein Vorhaben dagegen erfüllt oder sogar übererfüllt, zumindest durchschnittlich und wenn man beide Blogs zählt: 34 Blogbeiträge habe ich in diesem Jahr schon gepostet, je 17 auf beiden – das ist mehr als ein Blogbeitrag je Woche im Schnitt. Und es werden hoffentlich viel mehr. Denn ich möchte – ein neuer Vorsatz – bei der 30-Tage-Buch-Challenge mitmachen. Dazu in den nächsten Tagen mehr. Gelesen habe ich ebenfalls so viel, wie ich mir vorgenommen habe: 27 Bücher habe ich in meinem Büchertagebuch notiert, und weil ich manchmal vergesse, Bücher einzutragen, dürften es sogar ein paar mehr sein.

Ich habe es auch fast geschafft, jede Woche eine Karte mit einem Gedicht aus dem Kalender Fliegende Wörter zu schreiben. Für jedes Gedicht eine passende Adressatin oder einen passenden Adressaten zu finden, war eine wirkliche Herausforderung. Und ich gebe zu: Ich habe nicht alle geschriebenen Karten verschickt. Denn wer, außer vielleicht ein Wurmforscher (ich kenne keinen persönlich), freut sich schon über einen „Altniederdeutschen Wurmsegen“. Für die zweite Jahreshälfte habe ich die Aktion Fliegende Wörter deshalb etwas geändert: Ich werde weiter Gedichte verschicken, teilweise aber selbst ausgesuchte (mit selbst geschriebenen verschone ich euch weiter).

Dass ich – endlich – weniger gearbeitet habe als in den vergangenen Jahren (ein Dauer-Vorsatz), liegt weniger an mir als an Corona. Ob es mir gelungen ist, mehr zu leben, weiß ich nicht. Aber ich glaube, ich bin auf einem ganz guten Weg.

Mancher Weg ist steiniger und steiler als geplant. Und manchmal scheint es, als hätte der Teufel seine Hand im Spiel, wie hier auf der Teufelsmauer.

Apropos Weg: Ich bin – Foe sei Dank – im letzten halben Jahr sicher mehr gewandert als je. Dabei habe ich wirklich schöne Wege und Orte im Harz, also quasi vor der Haustür, kennen gelernt, an denen ich jahrelang achtlos vorbeigefahren bin. Am Marienteich zum Beispiel. Den Hexenstieg habe ich immer noch nicht ganz erwandert, aber zumindest Teile davon, darunter den vielleicht schönsten Teil, den Weg durch das Bodetal. Und der Sommer ist ja noch lang …

An der Bode, dem vielleicht schönsten Teil des Hexenstiegs

Im Alltag klappt das mit dem Vorsatz, mich mehr – und täglich – zu bewegen, leider nicht immer. Meine Yoga-Übungen lasse ich leider allzu oft ausfallen oder reduziere sie auf ein Miniprogramm. Aber ich gelobe Besserung. 10.000 Schritte am Tag sind ein guter Vorsatz für das zweite Halbjahr. Damit das auch klappt, werde ich meinen Fitnesstracker reaktivieren. Ob es etwas genutzt hat, schreibe ich dann am Ende des Jahres. Wie auch über andere unausgesprochene und ungeschriebene Vorsätze. 😉

Gute Absicht statt gute Tat

Vorgestern war Weltblutspendetag: „Wat et nit all jit“, würden die Kölner oder die Leute aus der Eifel sagen. Der Tag soll daran erinnern, wie wichtig es ist, Blut zu spenden, weil andere – und vielleicht morgen schon man selbst – Blutspenden brauchen.

Auf der Website www.blutspende-nordost.de lese ich, dass täglich in Deutschland 15.000 Blutspenden benötigt werden. Zurzeit sind die Blutvorräte hierzulande sehr gering: Das Blutspendebarometer auf der Website zeigt bei fast allen Blutgruppen, auch bei meiner, einen beunruhigend geringen Blutbestand. Der besorgt blickende Blutstropfen will sagen: Spende Blut, am besten sofort. https://www.blutspende-nordost.de/wissen-und-blut/blutspendebarometer.php

Das wollte ich letzte Woche tun: Ich bin abends zur Blutspendeaktion ins evangelische Gemeidehaus gegangen. Natürlich hatte ich mich vorher erkundigt: Spenden darf man oder frau auch mit über 60 Jahren – wenn er oder sie keinE ErstspenderIn ist.

Das bin ich nicht, ich habe mit 18 oder 19 zum ersten Mal Blut gespendet und es während meines Studiums und danach regelmäßig – zwei Mal im Jahr – getan. Denn Blut und Organe kann man auch spenden, wenn man kein oder nicht viel Geld hat. Ich habe den Blutverlust ausgezeichnet vertragen – und hätte auch weiter Blut gespendet, wenn, ja wenn nach meinem Umzug beim ersten Blutspendeversuch in meinem neuen Wohnort nicht jemand nach meinem Gewicht gefragt hätte. „46 Kilo“, habe ich wohl wahrheitsgemäß gesagt – und damit war meine Karriere als Blutspenderin vorbei. Unter 50 Kilo dürfe man oder frau kein Blut spenden, erfuhr ich. Dass ich kerngesund war, die vergangenen 20 Blutspenden sehr gut vertragen und einen Hb-Wert hatte, von dem selbst viele Männer nur träumen, war der verantwortlichen Ärztin egal. Und meiner Aussage, dass ich vielleicht auch 51 Kilo wiegen würde, schenkte sie keinen Glauben: Sie schickte mich nach Hause.

Das Gewichtsproblem ist nun leider gelöst: Ich wiege inzwischen über 50 Kilo. Deshalb bin ich guten Mutes zum Blutspenden gegangen. Doch mein Blut wollte man auch diesmal nicht: Ich sei mit 63 leider zu alt, erfuhr ich. Obwohl ich vor Jahren Blut gespendet hatte, galt ich als Erstspenderin – denn meine alten Spenden waren im Computer nicht erfasst. Wie auch: Damals gab es noch keine Computer.

Dass ich pumperlgesund bin und sehr gute Blutwerte habe, zählt immer noch nicht. Grenzwert ist Grenzwert – diesmal lag ich drüber. Und so bin ich wieder unverrichteter Dinge nach Hause gegangen – mit meinem Blut, aber ohne neuen Spenderausweis. Leider konnte ich nicht helfen, den besorgniserregend geringen Blutbestand aufzustocken. Und so bleibt nur die gute Absicht statt der guten Tat.

Würmsee im Mai

Diesen Blogpost beginne ich mit meinem Lieblingssatz aus der Musikfabel Alfred Jodocus Kwak von Hermann van Veen. Als er die Weihnachtsansprache halten soll, fragt der König: „Ist es schon wieder so weit?“

Nein, Weihnachten steht noch nicht wieder vor der Tür, aber das Monatsende. Höchste Zeit also für die monatlichen Fotos vom Würmsee. Ich habe es wieder erst auf den letzten Drücker geschafft.

Von der Badenden gibt es ohnehin nichts Neues: Sie kann sich trotz des schönen Wetters nicht entscheiden, ins Wasser zu gehen. Einen Badeanzug brauchte sie dazu angesichts der Tiefe des Teichs ohnehin nicht. Da würde es reichen, die Hose etwas umzukrempeln.

Die Enten stört die geringe Tiefe nicht – sie haben genügend Wasser unterm Bauch. Und für die Reiher ist das flache Wasser optimal. Gleich vier haben sich zum Frühstück eingefunden. Und der Tisch – genauer gesagt der Teich – ist reich gedeckt. Frösche, das konnte ich hören und sehen, gibt es im Schilf auf jeden Fall sehr viele.

Noch ist der Würmsee ein Paradies für Wasservögel, doch ob das im Sommer so bleibt? Der Wasserspiegel ist schon wieder deutlich gesunken, obwohl es im Mai ein paar Mal geregnet hat. Die Torffresser stehen wieder auf dem Trockenen …

Die Ureinwohner des Würmseewalds

… und die Bohlen des Stegs, die zu meinem Lieblingsplatz auf dem „Boot“ führen, ragen wieder etwa 30 cm aus dem Wasser. Im Februar und März stand das Wasser bis zur Unterseite der Bretter.

In „meiner“ Hütte haben Gäste den Tisch gedeckt …

… und gleich nebenan ein Tipi aus Ästen und Zweigen gebaut. Ich bin offenbar nicht die einzige, die gerne hier bleiben möchte. Aber Dauerwohnen wie nach dem Krieg und in den 1950er-Jahren ist am Würmsee nicht mehr erlaubt; die Häuser, die am See stehen, sind Wochenendhäuser, wenn auch teilweise sehr große.

Kein Baum-, sondern ein Asthaus

Fuchs, Hase, Reiher, Eisvogel und Kröte stören sich nicht an der Bau- und Wohnvorschriften. Sie übernachten, da bin ich sicher, auf oder unter ihrer Bank. Aber sie haben ja auch die älteren Rechte: Sie waren lange vor uns Menschen hier – und teilen jetzt ihren Lebensraum und die Bank großmütig mit uns, obwohl wir nicht immer gute Gäste sind.

Suchbild: Wo ist die Kröte?

Übrigens: Laut Wikipedia „erfand“ Hermann van Veen Alfred Jodocus Kwak, nachdem er eine Ente überfahren hatte und am nächsten Tag eine Entenfamilie in seinem Garten sah. Ihren Namen verdankt die Ente Alfred Biolek und einem Clown. Das Musical wurde 1976 erstmals aufgeführt, Ende der 80er entstanden Comics und Zeichentrickfilme. Alfred machte sogar in der Politik Karriere: Seit 2003 ist er offizieller UNICEF-Botschafter für die von der UNO festgeschriebenen Rechte des Kindes. https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Jodocus_Kwak

Von Bücherschränken und sprechenden Büchern

Eigentlich habe ich meine Bücher(kauf)sucht inzwischen ganz gut im Griff: Die Bücherei Burgwedel ist sehr gut sortiert, in der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover kann frau unbeschränkt ausleihen. Aber Büchereien und Bibliotheken waren wegen Corona wochenlang geschlossen. Und so habe ich einen Rückfall erlitten. Letzte Woche habe ich an einem Tag drei Bücher gekauft – und damit mein selbst gesetztes Limit weit überschritten.

Das erste habe ich in meiner Lieblingsbuchhandlung gefunden, die leider – oder mit Blick auf meinen Kontostand Gott sei Dank – nicht in meinem Wohnort, sondern in Hannover liegt. Wenn ich in der Nähe bin, gehe ich fast immer zu Annabee – und fast immer raunen mir mehrere Bücher zu: „Kauf mich, kauf mich.“ Auch diesmal habe ich die Bitte eines Buchs erfüllt – schließlich soll man kleine Buchhandlungen ja unterstützen, vor allem in Zeiten wie diesen. Auf dem Nachhauseweg hat mir dann eine Bekannte Buch Nummer 2 empfohlen. Und weil ich mir vorgenommen habe, wichtige Dinge nicht mehr aufzuschieben, habe ich es sofort in der Buchhandlung in Burgwedel bestellt. Im Briefkasten lag schließlich Buch Nr. 3. Ich hatte es Anfang der Woche online gekauft – nein, nicht bei dem Händler mit dem großen A, sondern bei einem modernen Antiquariat.

Die Stimmen in meinem Kopf – aufgedruckt auf meinem neuen Sweatshirt

Ja, ich kaufe viele Bücher secondhand – zum einen, weil ich sie mir neu nicht leisten kann: Vor allem Bildbände sprengen mein Budget bei Weitem. Zum anderen finde ich es gut und richtig, aussortierten Büchern ein zweites Lesen zu schenken.

Das tue ich mit meinen Büchern auch – nicht ganz freiwillig. Denn der Platz in meinen Bücherregalen wird knapp. Und so sortiere ich für jedes gekaufte Buch ein gelesenes aus. Bücher in der Papiertonne zu entsorgen, bringe ich nur selten übers Herz. Viele bringe ich stattdessen in die Krankenhausbücherei. Doch die ist zurzeit ebenso wie die städtische Bücherei geschlossen. Wann dort der nächste Bücherflohmarkt stattfindet, steht in den Sternen. Doch zum Glück gibt es ja auch in Burgwedel einen Bücherschrank. Der ist rund um die Uhr geöffnet und abends sogar beleuchtet.

Burgwedeler Bücher-Box von außen …

Das Prinzip der öffentlichen Bücherschränke ist einfach: Man oder frau stellt ausgelesene und ausgeliebte Bücher hinein. Wer will, darf sie mitnehmen; ob er/sie die Bücher nur ausleiht, sie behält, wieder zurückbringt oder andere Bücher dafür hinstellt, entscheidet jedeR selbst.

Ich liebe Bücherschränke. Wie an Buchhandlungen kann ich an ihnen nicht vorbeigehen, ohne darin zu stöbern – meist werde ich fündig und nehme Bücher mit. Und natürlich stelle ich immer wieder Bücher hinein.

Wie gut ein Bücherschrank ist, hängt nicht nur von den Buchspenderinnen und -spendern ab, sondern auch von den Menschen, die sich um die Bücherschränke kümmern. Vielen Dank allen, die das – ehrenamtlich – tun!

In Burgwedel klappt das ausgezeichnet, dank des Teams von printeffect, dem Copyshop im Mitteldorf. Besitzerin Edda Wilkening hat eine alte Telefonzelle im Ruhrgebiet gefunden, nach Burgwedel geholt, vor ihrem Laden aufgestellt und zur wetterfesten Bücher-Box umfunktioniert. Ein Aufdruck erinnert potenzielle Spenderinnen und Spender daran, dass ein Bücherschrank eben keine Altpapiertonne ist. Vergammelte Bücher werden aussortiert und entsorgt – und wenn Zeit ist, ordnet das Team um Edda Wilkening die Bücher sogar nach Rubriken.

… und von innen

NutzerInnen wie mich freut’s. Ich war letzte Woche übrigens ganz tapfer und habe mich gleich von sechs Büchern getrennt, obwohl ich nur drei gekauft hatte. Allerdings standen mehrere Bücher in der Box, die mir zuflüsterten: „Nimm mich.“ Zwei habe ich erhört.

Eine Karte der Bücherschränke in Deutschland gibt es auf dem Blog von Tobias Zeisig unter https://www.lesestunden.de/karte-oeffentlicher-buecherschraenke/

Würmsee im April

Nein, der Mai ist noch nicht gekommen, aber am letzten Aprilsonntag hat gefühlt halb Burgwedel einen vorgezogenen Ersten-Mai-Ausflug an den Würmsee unternommen. So viel ist hier nur selten los, vor allem nicht, wenn Biergarten und Restaurant geschlossen sind. Alle Fahrradständer und alle Parkplätze waren belegt – und natürlich waren auch alle Bänke und fast alle Lieblingsplätze rund um den See besetzt. Einige Fotos fehlen also diesmal – denn ich hatte zwar eine Kamera, aber keine Genehmigung zur Veröffentlichung von Personen dabei, die alle Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erfüllt. Und auch keine Lust, so viele Leute um die Erlaubnis zum Fotografieren zu bitten.

Die einsame Badende blieb also unfotografiert, sie war auch gar nicht einsam. Auf Steg und Plattform tummelten sich außer den Papp- einige ganz lebendige Kinder und Erwachsene: mindestens eine Groß- oder zwei Kleinfamilien. Das festinstallierte „Boot“ auf der gegenüberliegenden Seeseite und der hölzerne Steg waren ebenfalls belagert.

Der begehbare Pegel, angeblich der erste und einzige seiner Art, ist kein gleichwertiger Ersatz. Zum Sitzen lädt das Metallgitter nicht ein – zumindest nicht an einem zwar sonnigen, aber nicht sonderlich warmen Apriltag. Dafür lässt sich an ihm der aktuelle Wasserstand des Würmsees ablesen.

Obwohl es im April fast gar nicht geregnet hat, ist der Pegel nur wenig gesunken. Es muss also viel Wasser in den See gepumpt worden sein. Das können normalerweise auch Spaziergänger zumindest symbolisch tun; vor allem Kinder bedienen die drei bunten Pumpen gerne.

Außer Betrieb

Doch jetzt ist der Mini-Wasserspielplatz corona-vorschriftsmäßig abgesperrt; schließlich ist die Wasserzufuhr nicht wirklich systemrelevant – höchstens für das Ökosystem Würmsee. Am See leben viele Wasservögel, Frösche, Amphibien und natürlich die roten Torffresser, angeblich die letzten ihrer Art.

Weniger Wasser als im März, dafür mehr Grün

Weil alle Plätze in der ersten Reihe besetzt waren, habe ich in dem kleinen Haus am See Rast gemacht. Die Hütte aus verrostetem Metall erinnert daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge hier am Würmsee eine Bleibe fanden.

Die Hütte steht ein bisschen abseits, die meisten Spaziergänger gehen achtlos an ihr vorbei. Für Flüchtlinge interessiert sich zurzeit ohnehin niemand – weder für die von damals noch für die von heute. Und so habe ich die Hütte zumindest eine Zeit lang für mich allein – ohne Dach und Wände zwar, aber mit einem noch unvergrünten Blick auf den See.

Vom Schaukeln

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Zurzeit denke ich oft an dieses Sprichwort ist – und daran, wie vieles ich aufgeschoben habe. Im festen Glauben, es bei nächster Gelegenheit, irgendwann, im nächsten oder übernächsten Jahr, nachzuholen.

So wollte ich schon lange mal nach Amsterdam fahren, vorzugsweise im Frühling, wenn die Tulpen blühen. Auf die Insel Mainau. Oder zur Kirschbaumblüte ins alte Land. All das steht schon lange auf meiner To-visit-Liste, aber bis jetzt habe ich es nicht geschafft: Mal war die Arbeit wichtiger, mal etwas anderes. Jetzt hätte ich Zeit, weil natürlich auch bei mir, wie bei vielen Freelancern, Aufträge weggebrochen sind. Aber jetzt darf man nicht verreisen, soll zu Hause bleiben. Selbst Ziele, die quasi direkt vor unserer Haustür liegen, sind in Coronazeiten plötzlich unerreichbar – die Herrenhäuser Gärten zum Beispiel oder der Spielplatz an der übernächsten Straßenecke.

Ja, ich gebe es zu: Obwohl ich dem Spielplatz-Alter längst entwachsen bin, gehe ich manchmal auf den Spielplatz, der gerade mal hundert Meter von unserem Haus entfernt liegt. Spielen dürfen dort zwar eigentlich nur Kindern unter 12 oder 14 Jahren. Aber weil ich kleiner und leichter bin als mancheR Zwölfjährige und die Spielgeräte wirklich massiv, leiden sie gewiss nicht, wenn ich sie gelegentlich benutze.

Genau genommen spiele ich auch gar nicht – ich schaukle nur, und zwar sehr gerne. Ich mag das Gefühl, zu fliegen oder zumindest zu schweben. Meist fröne ich meiner Schaulkelleidenschaft abends oder frühmorgens – nicht nur, weil ich dann keinem Kind den Schaukelplatz wegnehme, sondern auch, weil mich dann niemand sieht. Schließlich bin ich keine 3 Jahre alt und auch keine 6, sondern 63.

Deshalb habe ich auch gezögert, als kürzlich bei einem Discounter eine Nestschaukel angeboten wurde. Und während ich noch überlegte, hatte mein Mann – weit entscheidungsfreudiger als ich – sie bereits gekauft. Zum Glück, denn obwohl er schon früh am Morgen im Laden war, waren die Schaukeln schon fast ausverkauft.

Jetzt hängt die Schaukel am Apfelbaum in unserem Garten. Und ich genieße es, zu schaukeln und dabei die Seele baumeln zu lassen, wann immer ich mag – auch wenn ich eigentlich schon zu alt dafür bin. Aber wer entscheidet eigentlich, wann wer was tun soll oder darf – und was angemessen ist?

Menschen bedauern am Ende ihres Lebens am meisten, dass sie zu angepasst, zu sehr nach den Erwartungen und Vorstellungen der anderen gelebt haben, weiß die Australierin Bronnie Ware* aus Gesprächen mit Sterbenden. Und sie wünschen, dass sie weniger gearbeitet hätten – und sich erlaubt hätten, glücklicher zu sein.  

Vielleicht ist jetzt eine gute Zeit, damit anzufangen. Denn was du heute kannst besorgen …

*Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden. Arkana Verlag (Werbung, unbezahlt)

Jeden Morgen geht die Sonne auf …

Letzte Woche bin ich umgezogen – auf meinen Sommermorgensitz: Ich schreibe meine Morgenseiten jetzt wieder auf der Couch auf der Empore, wie ich den gerade einmal vier Quadratmeter kleinen Platz neben der Treppe großspurig nenne. Denn dort kann ich beim Schreiben beobachten, wie es allmählich Tag wird.

In den Wintermonaten absolviere ich mein – oft abgespecktes – Morgenritual meist lange bevor es draußen hell wird . Doch vom Frühling bis in den Herbst hinein genieße ich den Blick aus dem Fenster auf die aufgehende Sonne. Genau genommen sehe ich nur einen Abglanz, weil Häuser und Bäume mir den Blick auf den Horizont versperren. Im Dämmerlicht wirken sie wie Scherenschnitte – vielleicht erinnern sie mich deshalb an Platons Höhlengleichnis: Die Menschen im Gleichnis sind in einer Höhle gefangen. Sie kennen von der Welt draußen nur die Schatten, die durch den Höhleneingang an die Wand geworfen werden – und halten das, was sie sehen, für die Wirklichkeit.

Ich weiß nicht mehr genau, was Platon uns mit dem Gleichnis sagen will – Philosophie gehört wie Physik zu den Dingen, die ich nicht wirklich verstehe. Ich habe aber – anders als die Höhlenbewohner – zum Glück schon viele Sonnenaufgänge erlebt. Und nur meine Bequemlichkeit hindert mich daran, morgens aufs Feld oder zu einem der Seen in der Umgebung zu gehen und den Sonnenaufgang in der Natur zu erleben. Das tue ich gelegentlich, wenn es draußen wärmer ist. Dann heiße ich die Sonne, wie es ihr gebührt, mit dem Yoga-Sonnengruß willkommen – und hoffe, dass mir niemand dabei zusieht.

Meist bleibe ich jedoch im Haus. Meine Morgenseiten schreibend, sehe ich, wie sich der Himmel verfärbt: An manchen Tagen ist das eher unspektakulär, die Nacht gleitet langsam in den Tag. An anderen Tagen entstehen am Himmel jedoch Bilder, an denen ich mich nicht sattsehen kann. Mal ist es eine Symphonie in Blau-Grau, mal brechen winzige Farbkleckse durch das Grau der Wolken, vom hellen Orange über Rot bis hin zum grellen Lila. Und manchmal scheint der Himmel zu brennen; auf Bildern – ob gemalt oder fotografiert – würde man die Farben künstlich oder kitschig nennen.

Der Versuch, sie mit Kamera oder Stiften einzufangen, misslingt fast immer. Trotzdem versuche ich es immer wieder; oft greife ich zur Kamera oder zum Skizzenbuch, statt einfach hinzuschauen und zu genießen.

Manchmal summe ich dann ein Lied vor mich hin, das ich als Kind gelernt habe. „Jeden Morgen geht die Sonne auf …“ – und irgendwie finde ich den Gedanken tröstlich, auch oder gerade in Zeiten wie diesen: Die Sonne geht auf, egal, was wir Menschen tun, ob wir ihr dabei zusehen oder nicht.

Übrigens: Den Text dieses Liedes hat Hermann Claudius 1938 geschrieben – nein, nicht der berühmte Matthias, der den Mond aufgehen ließ, sondern sein Urenkel. Der stand im Dritten Reich  den Nationalsozialisten zumindest sehr nahe. So wurde er 1933 in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen, nachdem Künstler wie Heinrich und Thomas Mann, Käthe Kollwitz oder Ricarda Huch ausgeschlossen worden waren. Im Oktober 1933 unterzeichnete er laut Wikipedia mit 87 anderen deutschen Schriftstellern das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler.

Wohl im gleichen Jahr wie „Jeden Morgen geht die Sonne auf“ schrieb Claudius auch ein Gedicht zu Ehren Hitlers. Sein bekanntestes Gedicht „Wann wir schreiten Seit an Seit“ erwies sich als politisch äußerst anpassungsfähig. Von Michael Englert vertont, war es zunächst das Lied der sozialistischen Jugend, ehe es – gekürzt – von den Nationalsozialisten übernommen wurde. In der DDR gehörte es zum Repertoire der Arbeiter- und Jugendchöre; in der Bundesrepublik wird es seit Anfang der 60er-Jahre am Ende der SPD-Parteitage gesungen.

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Würmsee im März

Ja, ich gebe es zu, der Dauerregen im Februar und Anfang März hat mich genervt. Aber er hatte natürlich auch – vor allem im Nachhinein – sein Gutes. Das sieht man auf den Märzbildern vom Würmsee. Wo im Februar noch Gras und andere Pflanzen aus dem See ragten, sieht man jetzt erfreulicherweisee nur Wasser.

Der winzige weiße Fleck im Hintergrund ist ein Schwan. Und auch das ist eine gute Nachricht: Die Wasservögel – Schwäne, Enten, Blesshühner und Reiher – sind an den Würmsee zurückgekehrt. waren ausgewandert, als der See im vergangenen Jahr wieder fast ausgetrocknet war, obwohl Region Hannover und die Stadt Hannover ständig Wasser in den See pumpen.

Torffresser: Kunst am See zum anschauen …

Zum ersten Mal stehen die Torffresser, angeblich die letzten ihrer Art, im Wasser. Das macht ihnen nichts aus, denn früher, als hier noch Torf abgebaut wurde, war hier richtiges Moor. Das Wasser hätte ihnen wohl bis zu den Knien gereicht, lese ich auf der Infotafel, die das Kunstobjekt erklärt. Es wurde, wie auch die anderen sieben Kunstobjekte am See, vom Atelier LandArt in Hannover geschaffen.

So feucht ist das Gelände neben dem Würmsee heute nicht mehr, aber weil hier immer noch geschützte Tiere wie Kreuzkröte und Moorfrosch hier leben, darf es nicht betreten werden. Zu sehen sind sie nur selten, aber wahrscheinlich sind sie während der Laichzeit im April und Mai nicht zu überhören. Ich bin gespannt.

… und zum benutzen

Dass viel Wasser im See ist, merkt man auch, wenn man über den Holzsteg zu der kleinen Plattform geht: Einige Bohlen liegen direkt auf dem Wasser – und wenn man sie betritt, merkt man, wie sie ein bisschen ins Wasser einsinken.

Zum Baden reicht es jedoch sicher nicht, und so werden die Dame auf der gegenüberliegenden Seeseite und ihre Pappgefährten wohl die einzigen bleiben, die sich im Badeanzug zeigen.

An den Bäumen im Hintergrund zeigt sich das erste zarte Grün. Und so wird es wohl auch nicht mehr lange dauern, bis der Blick von der Hütte auf den See zugewachsen ist. Ich würde mich trotzdem gerne gelegentlich dort am See einmieten. Eine Hütte zum Schreiben, zum Malen. Kunst am See halt.

Eine Hütte für mich allein – ein Platz zum Schreiben

Vier Seen-Tour

Eigentlich wollte ich am Wochenende wieder zum Wandern in den Harz fahren, doch dann bin ich, wie von Virologen und Politikern empfohlen, brav zu Hause – in meinem Wohnort – geblieben. Statt zur Oker- oder Eckertalsperre zu wandern, bin ich mit dem Rad zu mehreren kleinen Seen und Teichen in und um Burgwedel gefahren. Die sind zwar klein, haben aber meine Sehnsucht nach Wasser zumindest vorübergehend gestillt.

Der Würmsee, erste Station auf der Vier-Seen-Tour, gehört zu meinen Lieblingsorten in Burgwedel. Und obwohl ich schon so oft da war, entdecke ich immer wieder Neues. Die Schilder beispielsweise, die vor Jahren, vielleicht sogar vor Jahrzehnten, am Stamm eines Baumes aufgehängt und dann wohl vergessen wurden. Sie zeigen, wie achtlos wir mit der Natur umgehen, wie wir unsere Spuren – und Wunden – hinterlassen. Sie zeigen aber auch, dass es der Natur letztlich egal ist, was der Mensch macht – sie passt sich an und überlebt. Wir brauchen die Natur – sie uns nicht.

Auch die Aufschrift auf der Bank nehme ich zum ersten Mal wirklich wahr. Ist sie neu oder habe ich sie bislang immer übersehen, weil ich immer nur in eine Richtung – aufs Wasser – geschaut habe? Egal, sie passt gut zu dem, was mich beschäftigt und zu dem Rückzug, der uns zurzeit aufgezwungen wird. Der uns zum innehalten zwingt.

Gute Mischung: (Lebens)Kunst …

Was brauche ich für mein Leben? Ich nehme mir ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken. Neben Reiher, Fuchs, Hase und Eisvogel sitzend, genieße ich die Sonne und den Blick auf den See, bis mich zwei noch ältere Damen vertreiben.

… und Idyll am Würmsee. Das Idyll ist gewachsen, die Kunst entworfen vom Atelier LandArt

Denn drei sind – das verkündet wenig später die Kanzlerin – ab sofort in der Öffentlichkeit eineR zu viel. Die beiden Damen kümmert’s nicht, doch sie sind die einzigen, die keinen Abstand halten – alle anderen Spaziergänger bleiben auf Distanz

Am Springhorstsee, See Nummer zwei, merkt man die Ausgangsbeschränkungen besonders deutlich: Hier ist normalerweise sonntags bei schönem Wetter viel los, doch an diesem Sonntag war ich fast allein. Campingplatz, Hotel und  Restaurant sind wegen Corona geschlossen; auf der Terrasse am See sitzt eine einzige Frau, genießt die Sonne – ohne Kaffee und Kuchen. Ich spaziere am See entlang bis zu der Badestelle am gegenüberliegenden Seeufer. Das Wasser ist noch empfindlich kalt, doch schon in zwei Monaten kann ich hoffentlich wieder im See schwimmen. Das werde ich in diesem Jahr öfter tun als im vergangenen, nehme ich mir fest vor.

Springhorstsee mit kleiner Insel …

… und Badeinsel

Das kalte Wasser stört die beiden, die ich am Pöttcherteich sehe, nicht. Sie sind abgehärteter als ich, haben keine Angst vor kalten Füßen. Die beiden Vorfluter am Ortsrand sind nach dem Regen der vergangenen Wochen gut gefüllt – und bieten offenbar genügend Nahrung für einen Reiher und ein Storch. Die beiden teilen sich das Revier – zuerst auf Distanz. Die Annäherungsversuche des Storchs sind dem Reiher nicht geheuer.

Bitte Distanz halten … Storch und Reiher am Pöttcherteich

Ungewöhnlich viel Betrieb herrscht am Angelteich zwischen Thönse und Wettmar. Noch nie habe ich hier so viele Angler gesehen. Ob das schöne Wetter sie hierher getrieben hat oder der Mangel an Freizeit-Alternativen? Denn die meisten (Freizeit)einrichtungen sind geschlossen – Fitnessstudios, Bäder, Museen und Kinos ebenso wie Freizeit- undTierparks, Sportanlagen und Spielplätze drinnen und draußen), Cafés, Restaurants und Biergärten, Spielbanken, Wettannahmestellen und Prostitutionsstätten. Angelteiche kommen dagegen in der „Allgemeinverfügung der Region Hannover zur Beschränkung von sozialen Kontakten im öffentlichen und nichtöffentlichen Bereich …“ nicht vor – aber das Infektionsrisiko ist bei diesem Hobby sicher gering.

Was wirklich zählt

In der Not, sagt ein altes Sprichwort, gehen tausend Freunde auf ein Lot. Will heißen, in der Not erkennt man wahre Freunde, auf die man zählen kann. Unsere Not heißt derzeit Coronakrise, auch wenn der Begriff Not angesichts des Elends, das an anderen Stellen, zum Beispiel in den Flüchtlingslagern vor den Toren Europas, herrscht, vielleicht relativiert werden muss. Aber das ist eine andere Geschichte.

Corona erinnert uns auch daran, was wichtig ist, was wir wirklich brauchen. Medizinische Hilfe und Pflege vor allem. Die leisten die ÄrztInnen, PflegerInnen und medizinische Fachangestellte in Krankenhäusern, Heimen, Praxen und Gesundheitsämtern. Ihre Arbeit ist, wie es so schön heißt, systemrelevant – und für diejenigen, die nicht nur leicht, sondern schwer erkranken, im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig. Schade nur, dass sich die Wichtigkeit nicht in den Arbeitsbedingungen und in der Bezahlung niederschlägt.

Immer wieder muss ich daran denken, was mir eine Krankenschwester vor zwei Jahren erzählte. Sie pflegte meine 93-jährige Mutter, die während der schweren Grippewelle im hiesigen Krankenhaus lag. Die junge Frau hat nach der Mittleren Reife eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert – oder zur Gesundheits- und Krankenpflegerin, wie es heute heißt. Ihr Bruder wurde Automechaniker, pardon: Mechatroniker. Beide Ausbildungen dauern etwa gleich lang, beide haben seit der Ausbildung stets Vollzeit gearbeitet. Aber ihr Bruder verdient bei VW rund 1.000 Euro mehr im Monat – mit geregelten Arbeitszeiten, ohne einen Berg unbezahlter Überstunden vor sich her zu schieben. Mehr Verantwortung trägt die Krankenschwester zudem. Und so stellt sich die Frage: Was ist das für eine Gesellschaft, in der es besser honoriert wird, Autos zu bauen, zu reparieren oder zu verkaufen, als Menschen zu pflegen, zu erziehen und auszubilden oder mit wirklich lebensnotwendigen Dingen zu versorgen. Denn auch ErzieherInnen werden hierzulande grottenschlecht bezahlt, von den MitarbeiterInnen im (Lebensmittel)Einzelhandel ganz zu schweigen.

Dass Letztere eine verantwortungsvolle Position haben, bestätigte jüngst sogar NRW-Familienminister Joachim Stamp. „Die sind für uns im Moment absolut systemrelevant“, sagte er laut dpa. Deswegen haben auch sie in Coronazeiten Anspruch auf eine Notbetreuung ihrer Kinder.

Um ihre Arbeit sind sie nicht zu beneiden. Nudeln, Mehl, Klopapiere, H-Milch und Co. sind zurzeit Mangelware, um die KundInnen gelegentlich sogar kämpfen. Autos will dagegen in Zeiten wie diesen kaum jemand kaufen. Dass die Autohersteller, die normalerweise keine Gelegenheit auslassen, ihre Wichtigkeit zu betonen, ihre Produktion eingestellt haben, stört daher niemanden wirklich.

Und so tun VW und Co das, was sie in Krisen immer tun – auch in selbst verursachten wie der Dieselkrise, die ja noch gar nicht so lange her ist: Sie verp… sich, pardon sie stehlen sich – im wahrsten Sinne des Wortes – aus der Verantwortung, schreien nach Hilfe vom Staat und beantragen für ihre Mitarbeiter Kurzarbeitergeld. Das ist wegen des höheren Einkommens wahrscheinlich ebenso hoch oder höher als beispielsweise das Gehalt der die (Kranken)PflegerInnen, die derweil bis zur Erschöpfung arbeiten. Und am Ende gibt´s noch Boni.

Davon können Pflegekräfte, ErzieherInnen und KassiererInnen nur träumen. Sie werden ja nicht einmal angemessen bezahlt. Dafür fehlt angeblich das Geld – leider, sagen die, die jetzt die Arbeit der Beschäftigten in Gesundheitswesen, Pflege und Bildung loben und die Systemrelevanz betonen.

Aber schöne Worte reichen nicht – bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen sind längst überfällig. Und es ist höchste Zeit, ein System zu überdenken, das es großen Unternehmen allzu leicht macht, Verluste zu sozialisieren und Gewinne für sich zu behalten. Vielleicht sollte man die Regel einführen, dass sie staatliche Unterstützung nur noch bekommen, wenn sie sich verpflichten, auch Boni, Gehalts- und andere Zulagen mit anderen zu teilen – mit den ÄrztInnen, PflegerInnen, ErzieherInnen und KassiererInnen beispielsweise.

Übrigens: In der Krise sind es laut Statista vor allem die Frauen, die Gesellschaft am Laufen und die Gesellschaft zusammenhalten. In den existenziell wichtigen Bereichen, im Lebensmittel-Einzelhandel, bei den Sozialversicherungen, in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind über 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weiblich; in den Kindergärten und Vorschulen sind es sogar über 90 Prozent.