Kultur pur

So viel geballte Kultur in einer Woche gönne ich mir selten bis nie: am Mittwoch Kino im Amtshof in Burgwedel, am Samstagabend Mittwochstheater in Hannover-Linden und dazwischen drei Ausstellungen in drei verschiedenen Museen.

Zufall oder nicht: Sowohl der Film, den ich am Mittwoch gesehen habe, als auch das Theaterstück am Samstagabend spielen in Frankreich: „Das Beste kommt noch“ erzählt die Geschichte von zwei sehr ungleichen Freunden. Als einer unheilbar an Krebs erkrankt, möchten die beiden möglichst viel der noch verbleibenden Zeit miteinander verbringen. Sie reisen zusammen in die Vergangenheit und tun, mehr um dem anderen einen Gefallen zu tun als aus Überzeugung, auch Dinge, vor denen sie sich bislang gedrückt haben. Und weil der Kranke meint, nicht er, sondern sein Freund sei todkrank, kommt es zu einigen Missverständnissen.

„Alles was sie wollen“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière habe ich mir mit einer Schreibfreundin angesehen. Im Mittelpunkt des Stücks steht die berühmte Schriftstellerin Lucie Arnaud, die kurz vor der Premiere ihres neuen Theaterstücks noch kein einziges Wort geschrieben hat.

Schreibblockaden kenne ich, im Mittwochstheater war ich bislang noch nie. Aber mein erster Besuch war sicher nicht mein letzter. Denn die Atmosphäre in dem alten Haus auf dem Lindener Berg gefällt mir: Es erinnert mich ein bisschen an das Unterhaus in Mainz, in dem ich als Studentin – also vor fast 100 Jahren – öfter gewesen bin. Und vielleicht sind die beiden Abstecher nach Frankreich ein Zeichen, dass ich meine Französischkenntnisse aus Realschulzeiten wieder aufbessern sollte. Eine Vokabelbox „Französisch Grundwortschatz“ habe ich letztens vor der Altpapiersammlung gerettet.

Vor der Vorstellung habe ich mir die Doppelausstellung des britischen Malers und Bildhauers Glenn Brown im Landes- und im Sprengel Museum angesehen. Es ist im Übrigen die erste gemeinsame Ausstellung der beiden Museen, die fast direkte Nachbarn sind.

Für die Dauer der Ausstellung – also bis zum 18. Juni – hat Glenn Brown die Kunstsammlungen beider Häuser um 50 eigene Werke erweitert. Die meisten seiner Bilder und Skulpturen wurden bewusst zwischen denen anderer Maler und Bildhauer platziert. Denn Glenn Brown ist, so heißt es in der Pressemitteilung, „bekannt für die Verwendung von kunsthistorischen Referenzen in seinen Gemälden“. Und in einem Interview sagte der Künstler: „Mein Gehirn wurde von anderen Künstlern geformt, sie leben alle in mir. Und ich bin untrennbar mit der Kunstgeschichte verbunden. Alles gehört zusammen.“ Nachzulesen im Ausstellungskatalog.

Ich kannte Glenn Brown und seine Werke bislang nicht – und er wird wohl auch nicht mein Lieblingsmaler. Aber seine Technik und seine Farben haben mich beeindruckt, er erzeugt „in altmeisterlicher Manier mit dünnen, wirbelnden Pinselstrichen … eine fast fotografisch anmutende Oberfläche“. Mein Lieblingswerk ist allerdings kein Bild, sondern eine Skulptur, deren Titel ich mir leider nicht gemerkt habe. Aber da ich ja eine Museumscard habe, werde ich „the real thing“ sicher noch ein zweites Mal besuchen, so wie ich auch ein zweites Mal „Nach Italien“ (https://timetoflyblog.com/nach-italien) gegangen bin. Die Ausstellung, die zur Reise in den Süden einlädt, wurde nämlich bis August verlängert.

Die erste Ausstellung, die ich in der vergangenen Woche besucht habe, war ebenfalls eine Doppelausstellung. Im Museum für Karikatur und Zeichenkunst Wilhelm Busch sind zwei Ausstellungen von insgesamt drei Zeichnern zu sehen. Alles erlaubt“ heißt der Titel des Ausstellungsparts von Achim Greser und Heribert Lenz, die gemeinsam Karikaturen für große deutsche Zeitungen zeichnen.Seit ihrer Zeit bei der Titanic haben Greser & Lenz nach und nach einen gemeinsamen Zeichenstil entwickelt, der inzwischen kaum mehr Rückschlüsse erlaubt, welche Zeichnung von welchem der beiden Zeichner stammt“, ist in der Pressemitteilung des Museums zu lesen. Mir gefallen die Karikaturen sehr gut, spannend finde ich aber auch die ausgestellten Leserbriefe, die zeigen, „welchen Anfeindungen Karikaturist*innen auch in unserer vermeintlich offenen Gesellschaft mitunter ausgesetzt sind“.

Mit den Bildern von Günter Mattei tue ich mich schwerer. Vor allem mit den Tierbildern, ein Schwerpunkt seines Ausstellungsteils „Kommst du“, kann ich wenig anfangen. Aber die Geschmäcker sind eben verschieden, bekanntlich ist ja – um bei Tierbildern zu bleiben – „Wat den Eenen sin Uhl, is den Annern sin Nachtigall“.

Gelohnt hat sich der Besuch im Wilhelm Busch Museum trotzdem. Und auch die Ausstellung werde ich mir sicher noch ein zweites Mal ansehen.

Ist er wieder da?

Ist er’s – oder ist er’s nicht? Diese Frage stelle ich mir, seit vor etwa zwei Wochen Knospen an einer Narzisse sichtbar wurden. Sie sind spät dran, ihre Verwandten im Garten sind schon längst aufgeblüht. Und sie stehen auch nicht an genau der Stelle, an der ich die Zwiebeln im letzten Jahr eingepflanzt habe, aber immerhin in der Nähe.

Dass sie es nicht an dem ihnen zugewiesenen Platz ausgehalten haben, sondern ein Stück gewandert sind, nährt meinen Verdacht, dass es Rip van Winkle sein könnte. Denn Namen – lateinisch Nomen – sind ja angeblich nicht Schall und Rauch, sondern Omen. Und Rip van Winkle, der Namenspatron der von mir vermissten Narzisse, war ja der Kyffhäusersage nach ein Herumtreiber und Tunichtgut. Er hielt nicht viel von Arbeit, streifte stattdessen lieber durch die Gegend, vergaß dabei gerne die Zeit und ließ seine Mitmenschen warten. Von seinem letzten Waldspaziergang kehrte er angeblich erst nach 20 Jahren wieder zurück.

So lange muss ich nicht warten. In den nächsten Tagen werden auch die Nachzügler-Narzissen ihre Blüten öffnen und ihr Geheimnis lüften. Und während in der Sage niemand den alten Mann kannte, der behauptete, dass er schon immer im Dorf gelebt hatte, werde ich Rip van Winkle erkennen. Schließlich ist sie die einzige gefüllte Narzisse in meinem Garten. Denn ihre Vorgänger, die ich vor ein paar Jahren in den Herrenhäuser Gärten gekauft und eingepflanzt habe, sind und bleiben verschwunden (https://timetoflyblog.com/gartenerkenntnisse; https://timetoflyblog.com/rip-van-winkle-bleibt-verschwunden).

Sie blühten nur einen Frühling und sind danach verschwunden

Rip van Winkles weiter Weg aus der Kyffhäusersage in den modernen Roman wird unter https://de.wikipedia.org/wiki/Rip_Van_Winkle beschrieben.

Ab ins Beet

Gestern Abend hat – drei Wochen nach dem meteorologischen – auch der kalendarische und astronomische Frühling begonnen. Tag und Nacht waren gestern gleich lang – und zwar sowohl auf der Nordhälfte als auch auf der Südhälfte der Erde. Bis Ende September sind die Tage hier jetzt länger als die Nächte. Auch das Wetter zeigte sich in den vergangenen Tagen mit zweistellige Temperaturen und zumindest gelegentlichem Sonnenschein durchaus (vor)frühlingshaft. Zeit, sich wieder mal um den Garten zu kümmern, vor allem um das Beet vor dem Wintergarten.

Das sieht ziemlich kahl aus, seit im Januar der Buchsbaumstier weichen musste. Mein Mann hatte vor Jahren fünf kleine Buchsbäume nebeneinander gepflanzt, sie gehegt, gepflegt und in Form geschnitten. Im Laufe der Jahre sind die Buchsbäumchen zu einer mehrere Meter langen, dichten, fast mannshohen Hecke zusammengewachsen. Doch gegen die gefräßigen Larven des Buchsbaumzünslers hatte der Stier keine Chance. Er siechte dahin, wurde immer schwächer und kahler. Alle Rettungsversuche waren vergeblich. Und so haben wir ihn schließlich abgeschnitten und die Wurzeln ausgegraben. Beim Rein-Beet-Machen haben wir auch einige andere Pflanzen entfernt. Die Dreimasterblumen beispielsweise, die mit ihren lila Blüten zwar hübsch aussehen, aber leider ein sehr einnehmendes Wesen haben und andere Pflanzen rücksichtslos überwuchern. Ganz verschwunden sind sie sicher nicht, obwohl ich mehrere Kilo Wurzelgeflecht entfernt habe – Dreimasterblumen sind zäh. Aber ich hoffe, dass sie ihre neuen Beet-Nachbarn vorläufig in Ruhe lassen.

Aus dem Beet vor dem Wohnzimmerfenster habe ich zwei Rosen ausgegraben und umgesetzt. Nachdem mein Mann dort einen Schmetterlingsbusch gepflanzt hat, fristeten die Künstlerrose und die Päonienrose ein Schattendasein. Ich hoffe, dass sie den Umzugsstress gut verkraften und den Platz an der Sonne genießen. Mir jedenfalls gefällt ihr neuer Standort viel besser. So kann ich sie und ihre Blüten sehen, wenn ich im Wintergarten sitze – und anders als der Stier lassen die Rosen den Blick auf unsere Teiche frei.

Auch Wildtulpen und eine Dahlie namens Milena Fleur sind in das Beet eingezogen. Tulpen gibt es in unserem Garten bislang nur wenige und auch mit Dahlien hatte ich früher wenig Glück. Kaum waren sie eingepflanzt, waren sie wieder abgefressen. Aber im letzten Jahr war der Bann gebrochen: Zumindest an zwei Stellen haben sie überlebt und blühten bis in den Herbst hinein. Ich hoffe, dass sie wiederkommen und dass auch Milena Fleur anwächst und gedeiht. Die Zwiebel der Winterlinge und die Narzissen, die ich ebenfalls gesetzt habe, blühen wahrscheinlich erst im nächsten Frühjahr.

Sehr mitgenommen sehen die Christrose und die Primel aus, die aus dem Haus in den Garten umgezogen sind und jetzt den frei gewordenen Platz unterm Schmetterlingsbusch einnehmen. Für sie ist der neue Standort eigentlich ideal. Denn anders als ihre Vorgängerinnen, die Rosen, mögen beide es durchaus (halb)schattig. Trotzdem bin ich nicht sicher, dass sie dort Wurzeln schlagen. Weil ich ihnen den Umzug in den gefrorenen Boden nicht zumuten wollte, sind sie länger als geplant drinnen drinnen geblieben. Doch das ist ihnen nicht gut bekommen. Aber vielleicht erholen sie sich ja an der frischen Frühlingsluft.

Ein(e) Art Journal

Mit guten Vorsätzen ist das so eine Sache. Manchmal muss man sie brechen. Oder besser gesagt: abändern. So habe ich mir trotz meines Vorsatzes, bis Ostern konsumzufasten, drei Bücher gekauft.

Nun ist fraglich, ob Bücher überhaupt unter meinen freiwilligen Konsumverzicht fallen. Denn ein Leben ohne Bücher geht für mich gar nicht. Sie sind für mich eine Art Lebensmittel, auf jeden Fall aber Dinge des täglichen Bedarfs – die ich kaufen darf. Außerdem hatte ich gute Gründe, Ausnahmen zu machen: Ein Buch brauchte ich für einen Blogbeitrag, das zweite ist beim Verlag vergriffen, in den Bibliotheken in Hannover nicht vorhanden – und im modernen Antiquariat wurde nur noch ein einziges Exemplar angeboten. Das Risiko, dass ich das Buch nach Ostern gar nicht mehr bekomme oder nur zu einem wesentlich höheren Preis, wollte ich nicht eingehen.

Zum Kauf von Buch Nummer drei, einem Skizzenbuch, hat mich ein Instagram-Beitrag einer Schreibfreundin inspiriert. Sie schrieb, dass sie jetzt ein Art Journal führt (https://www.instagram.com/p/Cpo4pSgN_c0/). Das wollte ich auch schon lange, hatte es bislang aber immer wieder aufgeschoben, weil ich kein Talent zum Zeichnen und Malen habe. Stifte und Farben habe ich mir im Laufe der Jahre viele gekauft. Doch irgendwie fehlte mir der Mut, anzufangen.

Da ich so lange gezögert hatte, hätte ich natürlich auch noch ein paar Wochen warten können. Aber mir kam ein Zitat von Elke Heidenreich in den Sinn, das ich vor Jahren einmal gelesen und nie mehr vergessen habe. „Zu lange aufgeschobene Wünsche brennen nicht mehr, zu tief weggepackte Träume sind von den Motten zerfressen.“ Und vom römische Kaiser Marc Aurel stammt der Satz „Man bereut nie, was man getan, sondern immer, was man nicht getan hat.“

Außerdem erfuhr ich kurz nachdem ich frau_landaus alias Tina Kolbecks (https://tinakolbeck.de/) Instagram-Beitrag gelesen hatte, dass ein Bekannter plötzlich gestorben ist. Er war jünger als ich und kerngesund. Das gibt frau schon zu denken, wie viel Zeit noch bleibt. Als dann noch ein Kollege ein Treffen erst absagte, als ich schon auf dem Bahnhof und auf dem Weg in die Stadt war, war es für mich ein Zeichen: Ich habe die gewonnene Zeit für einen Besuch in einem Kunstladen genutzt.

Mein neues Skizzenbuch soll mehr Farbe in mein Leben und meine Aufzeichnungen bringen. Ich will in meinem kreativen Tagebuch Zeichnungen und Skizzen, Fotos und Bilder, Texte – eigene und fremde – kombinieren. Ich will mit Farben und mit Worten spielen. Wie es mir gefällt. Den Anspruch, Kunst zu machen, habe ich nicht, es wird also kein Art Journal, sondern eher ein(e) Art Journal.

Sehnsucht nach Meer

Wiederentdeckt: Ein Zimmer für sich allein

Eigentlich war es Zufall, dass ich Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ jetzt wieder gelesen und wiederentdeckt habe. In ihrem Buch „FrauenZimmerSchreiben“* schreibt die Herausgeberin Christiane Palm-Hoffmeister als Einleitung einen Brief an die Autorin des viel zitierten Essays.

Ich habe Virginia Woolfs Buch zum ersten Mal während des Studiums gelesen, auf Englisch, wie die 1977 gekaufte Penguin-Ausgabe von „A Room of One‘s Own“ verrät. 1989 habe ich mir dann eine Ausgabe auf Deutsch gekauft, weil mein Englisch inzwischen etwas eingerostet war. Für ein eigenes Zimmer war damals in unserem Haus kein Platz, weil wir drei Kinderzimmer brauchten. Als gemeinsames Arbeitszimmer diente meinem Mann und mir zeitweise ein Teil des Wohnzimmers, den wir mit Regalen und einer Sperrholzwand provisorisch abgetrennt hatten. Aber lieber arbeitete und schrieb ich auf dem freien Platz neben der Treppe, wo auch jetzt wieder ein Schreibtisch steht. Eigentlich brauche ich diesen Schreibplatz nicht mehr, denn ich habe inzwischen sogar zwei Arbeitszimmer für mich allein. Und ich muss – anders als damals – nicht mehr Kinder, Haushalt und Beruf unter den bekannten Hut bringen.

Vielleicht liegt es am freieren Teilzeit-Rentnerinnen-Leben, dass ich Virginia Woolfs Essay diesmal an einem Tag und in einer halben Nacht gelesen habe. Vielleicht kam die Anregung aber auch gerade zur richtigen Zeit. In den vergangenen Jahren hatte ich mehrere Wieder-Lese-Versuche gestartet und das Buch dann – unausgelesen – zur Seite gelegt.

Mir war vor allem der Satz im Gedächtnis geblieben, der dem Essay seinen Namen gab: „Eine Frau braucht Geld und ein eigenes Zimmer, um schreiben zu können“ (Seite 3)**. Dabei ist wirklich bemerkens- und lesenswert, wie treffend und umfassend Virginia Woolf schon in den Zwanzigerjahren die Situation von Frauen in der Literatur und im Leben beschrieben und analysiert hat. „In der Poesie füllt sie (die Frau) Bände, in der Geschichte kommt sie nicht vor“, schreibt sie. Und im richtigen Leben wurden und werden Mädchen und Frauen häufig „eingesperrt, geschlagen und durchs Zimmer geschleudert“ (Seite 49).

Zwar hat sich vieles geändert, seit Virginia Woolf ihren Essay schrieb. Doch manches ist leider noch so aktuell wie vor fast hundert Jahren. In Deutschland wird laut BMFSFJ „etwa jede vierte Frau … mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner“ (https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642). Und obwohl es zumindest hierzulande inzwischen selbstverständlich ist, dass Mädchen und Frauen zur Schule gehen, studieren, einen Beruf lernen und berufstätig sind, sind Frauen auch heute noch das arme Geschlecht. So verdienten Frauen nach Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) im vergangenen Jahr in Deutschland pro Stunde 18 Prozent weniger als Männer (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html). Ein Teil der Lohnunterschiede kann durch Lohn- und Gehaltsunterschiede in verschiedenen Berufen und Branchen erklärt werden. Anders als von Virginia Woolf vorausgedacht, gibt es nämlich immer noch typisch weibliche und typisch männliche Berufe. Und ErzieherInnen, Kranken- oder AltenpflegerInnen werden auch heute noch schlechter bezahlt als AutomechanikerInnen oder InstallateurInnen. Aber selbst wenn sie die gleiche Arbeit leisten, verdienen Frauen oft weniger als ihre männlichen Kollegen. Das liegt sicher auch daran, dass Männer oft selbstsicherer sind und sich und ihre Leistung besser verkaufen können.

Verwunderlich ist das nicht: Jahrhundertelang wurde behauptet, dass Frauen Männern mental, moralisch, physisch und intellektuell unterlegen sind. Dieses Vorurteil hat sich, so scheint es, bei beiden Geschlechtern ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Wenn Männer „ein Zimmer betreten, sagen sie sich, ich bin der Hälfte der Menschen hier überlegen, und deshalb sprechen sie voller Selbstvertrauen, voller Selbstgewissheit“, schreibt Virginia Woolf (S. 41). Dieses Gefühl sei wahrscheinlich „eine der Hauptquellen“ männlicher Macht (S. 39).

„Frauen haben in all diesen Jahrhunderten als Spiegel gedient, ausgestattet mit der magischen und köstlichen Kraft, die Gestalt des Mannes doppelt so groß wiederzugeben“, schreibt sie. „Welchen Nutzen Spiegel in zivilisierten Gesellschaften auch haben mögen, für jede gewalttätige und heroische Tat sind sie unabdingbar. Deshalb bestehen Napoleon und Mussolini so emphatisch auf der Unterlegenheit der Frauen, denn wären sie nicht unterlegen, würden sie nicht länger vergrößern“ (S. 40f). Dem ist mit Blick auf die großen und kleinen Mussolinis und Napoleons unserer Zeit nichts hinzuzufügen. Oder nur, dass es sich wirklich lohnt, Virginia Woolfs Essay wieder zu lesen.

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung

**Zitiert nach Woolf, V. (2019). Ein Zimmer für sich allein (Kampa Pocket) (German Edition) [Kindle Android version]. Retrieved from Amazon.com, übersetzt von Antje Ravik Strubel


Winter ade?

„Es war wohl die letzte Schneewanderung in diesem schneearmen Winter,“ habe ich vor fast genau einem Monat geschrieben nach einer Wanderung mit meiner Kollegin Foe geschrieben (https://timetoflyblog.com/wandern-und-schreiben). Aber unverhofft kommt ja bekanntlich oft: Der Winter will in diesem Jahr scheinbar nicht weichen und hat in den letzten Tagen bewiesen, wie viel Kraft und Ausdauer er noch hat. Kein Wunder: Er hat ja im Januar eine Pause gemacht und uns eine Ahnung von Frühling beschert

Der Schnee, mit dem der Winter am Donnerstag seinen Anspruch zu bleiben untermauerte, war zwar am Freitagmorgen wieder geschmolzen, als ich in Richtung Harz aufbrach. Weil aber Wetterbericht und die Wolken am Himmel nichts Gutes verhießen, wanderten wir nicht, sondern arbeiteten ein wenig in Foes neuem Schrebergarten.

Abends fing es wieder an zu schneien und es schneite die halbe Nacht ohne Unterlass. Und so war dann am nächsten Morgen statt Gartenarbeit ein Spaziergang im Schnee angesagt – eine wirklich schöne, wenn auch unerwartete Alternative.

Mehr Schnee als am Harzrand war in der Nacht erstaunlicherweise im hannoverschen Flachland gefallen. Mein Winterling und die Traubenhyazinthe waren (fast) komplett unter der Schneedecke verschwunden und mussten von mir von der kalten und schweren Last befreit werden, als ich wieder zu Hause ankam.

Mehr Glück hatten die Hyazinthe und die Krokusse, die unter schützenden Bäumen und Sträuchern wachsen. Was wieder einmal zeigt: Der Platz an der Sonne ist eben nicht immer die beste Wahl.

Dem Blaukissen und meinem Lesezwerg bietet das gläserne Dach unseres Wintergartens Schutz. Im Wintergarten ist es an Tagen wie diesen schon sommerlich warm. Fast 27 Grad zeigte das Thermometer heute Mittag. Und so konnte ich mein Schreibzimmer im Wintergarten eröffnen – vielleicht zum letzten Mal in diesem Winter mit dem Blick auf den n verschneiten Garten.

Fasse dich kurz

Die Fastenzeit hat gefühlt gerade erst begonnen, der Februar – und damit der „NaHaiWriMo“ – ist am Dienstag zu Ende gegangen. Dass der kürzeste Monat des Jahres der „National Haiku Writing Month“ ist, wusste ich bis vor Kurzem nicht, ja, ich wusste nicht einmal, dass es ein Haiku-schreib-Monat gibt. Das habe ich erst gelesen, als ich heute vor einem Monat mein elektronisches Postfach aufgeräumt und bei der Gelegenheit einen Blogbeitrag von Christine Kämmer genauer gelesen habe (https://christinekaemmer.com/haiku-schreiben/).

Der war pünktlich Anfang Februar in meinem Posteingang gelandet, aber beim flüchtigen Hinschauen habe ich geglaubt, dass es in der Mail um den „NaNoWriMo“ geht. Weil der ja erst wieder im November stattfindet, habe ich den Beitrag erst einmal weggeklickt – und meinen Irrtum dann erst ein paar Tage später bemerkt.

„NaHaiWriMo“ und „NaNoWriMo“ – beide Kürzel ähneln sich wirklich. Dabei können Schreibziele kaum unterschiedlicher sein. Beim „NaNoWriMo“ im November sollen oder wollen die TeilnehmerInnen in 30 Tagen einen ganzen kurzen Roman von 50.000 Wörtern verfassen – das sind pro Tag durchschnittlich 1.666,666 Wörten. Im „NaHaiWriMo“ ist es Ziel, jeden Tag ein Haiku zu schreiben.

Mit dem „NaNoWriMo“ habe ich so meine Probleme: Mir gefällt die Idee, sich ein besonderes Schreibziel zu setzen. Aber 1.667 Wörter pro Tag zu schreiben, ist für mich als Langsamschreiberin völlig illusorisch. Denn ich tue immer das, was man während des „NaNoWriMo“ nicht tun soll: Ich überdenke und korrigiere Texte, während ich schreibe. Beim Vielschreiben soll der innere Kritiker außen vor bleiben. Doch das funktioniert bei mir nie – meine Zensorin sitzt immer neben meiner Tastatur oder – schlimmer noch – in meinem Kopf. Außerdem bezweifle ich, dass es Sinn macht, möglichst viel schreiben zu wollen. Denn wo es nur oder vor allem um Quantität geht, bleibt bekanntlich oft die Qualität auf der Strecke. Nicht nur, aber auch beim Schreiben. Deshalb mache ich bei der Schreibaktion im November zwar mit, setze mir aber eigene Ziele: Ich schreibe, so viel ich kann (https://timetoflyblog.com/schreibsovieldukano).

Die Aufgabe, im „NaHaiWriMo“ ein Haiku täglich zu schreiben, kam mir dagegen gerade recht. Denn ich interessiere mir schon lange für die traditionellen japanischen Gedichte. Haikus reimen sich nicht und bestehen – zumindest in westlichen Ländern – (fast) immer aus drei Zeilen: Die erste soll fünf, die zweite sieben und die dritte wieder fünf Zeilen lang sein.

Aber das ist, wie ich gelernt habe, eine Kann- und keine Muss-Empfehlung. „Der Haiku als ,Dreizeiler‘ ist eine reine Erfindung des Westens“, wird in dem Beitrag auf haiku-heute.de Arata Takeda, ein aus Japan stammender Literatur- und Kulturwissenschaftler zitiert. Ursprünglich soll der Haiku ein Einzeiler gewesen sein – oder ein Einspalter, da im Japanischen in Spalten geschrieben wird (https://www.haiku-heute.de/das-haiku/merkmale-des-haiku/).

Und auch bei der Silbenzahl sind Ausnahmen erlaubt, schon weil die Moren, das sind die Lauteinheiten, in die japanische Wörter unterteilt sind, nicht den deutschen Silben entsprechen. Japanische Moren haben laut Volker Friebel „im Durchschnitt weniger Inhalt als eine deutsche Silbe: 17 japanische Lauteinheiten entsprechen dem Inhalt von etwa 10 deutschen Silben.“

Bei den Themen sind moderne Haikus freier als ihre traditionellen Vorbilder, bei denen es immer um Jahreszeiten und Natur geht. Ein wesentliches Merkmal der Gedichte war und ist jedoch die Kürze; die Kunst im Haiku besteht laut Volker Friebel darin, einen Text zu schreiben, der „sich ohne Qualitätsverlust nicht weiter kürzen lässt“. Wenn es gelingt, sagen 17 Silben eben manchmal mehr als 50.000 Wörter.

Sich kurz zu fassen, ist eine Kunst, ebenso wie das Verfassen von Haikus. Aber der NaHaiWriMo war für mich ein Anlass, beides zu üben – und mit dem Schreiben von Kurzgedichten anzufangen. Täglich ist mindestens eins entstanden, meist Haikus, gelegentlich auch Elfchen. Das sind – all denen, die sich mit Schreiben im Allgemeinen und Lyrik im Besonderen nicht so gut auskennen, sei’s gesagt – kurze Gedichte, die aus elf Worten bestehen, aufgeteilt auf fünf Zeilen.

Haiku – japanische Vorbilder und eigene Übungsseiten

Weil mein persönlicher NaHaiWriMo erst am 5. Februar begonnen hat, endet er auch erst heute, am 5. März. Ich werde aber weiter Kurzgedichte schreiben. Denn es hat mir viel Spaß gemacht. Und mir gefällt die Idee, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, alles Unnötige wegzulassen – beim Schreiben und im Leben.

Fastenaktion 7 Wochen Ohne

Am vergangenen Mittwoch, am Aschermittwoch, hat die Fastenzeit begonnen. Und wie in den letzten Jahren habe ich mir auch in diesem Jahr einiges vorgenommen. Eigentlich das Übliche: Ich möchte bis Ostern auf Eis und Süßigkeiten verzichten, ja auch auf meine geliebten sauren Brause-Kaubonbons. Die lasse ich noch problemlos liegen; schwerer – unerwartet schwer – fällt mir dagegen in diesem Jahr der Verzicht auf Schokolade. Noch bin ich tapfer, aber ich bedaure schon jetzt den ersten Schokohasen, der mir am Ostersonntag arglos über den Weg hoppeln wird. Ihm droht ein grausames Schicksal (https://timetoflyblog.com/arme-hasen).

Weil ich mehr Ordnung in meinen Räumen und in meinem Leben schaffen möchte, habe ich mir wieder vorgenommen, mich jeden Tag von etwas zu trennen. Anders als vor zwei Jahren werde ich in diesem Jahr allerdings nicht „ansteigend ausmisten“, das heißt mich in der ersten Woche täglich von einem, in der zweiten Woche dann täglich von zwei Gegenständen usw trennen. Denn das wird spätestens in den beiden letzten Wochen ziemlich stressig.

An den ersten Tagen hat das Wegwerfen recht gut geklappt. Und damit der gewonnene Platz nicht gleich wieder mit anderem gefüllt werden soll, möchte ich auch „konsumfasten“: Ich will mir außer Lebensmitteln und anderen Dingen des „täglichen Bedarfs“ nichts Neues kaufen.* Neues Gebrauchtes ist ebenfalls bis Ostern tabu, weil ich vor allem Bücher, aber auch Kleidung meist secondhand kaufe – nicht nur weil es preiswerter ist, sondern auch, weil viele gebrauchte Sachen noch tadellos erhalten und zum Wegwerfen einfach zu schade sind.

Last, but not least beteilige ich mich auch in diesem Jahr wieder an der Fastenaktion „7 Wochen Ohne“ der evangelischen Kirche. Mit dem Motto „Leuchten! Sieben Wochen ohne Verzagtheit“ fremdle ich allerdings noch ein bisschen. Und die erste Fastenmail, die ich am vergangenen Mittwoch erhalten habe, hat mich auch nicht wirklich erleuchtet. Es gehe darum, „selbst hell zu werden, wenn die Zeiten dunkel sind. Dazu möchten wir Sie in diesem Jahr ermutigen. Lassen Sie uns gemeinsam sieben Wochen lang auf das verzichten, was uns einschüchtern will. Geben wir acht auf alles, was leuchtet, und stellen wir auch unser eigenes Licht nicht unter den Scheffel!“, schreibt Frank Muchlinsky.

Während ich diesen Blogbeitrag schreibe, fällt mir ein, dass ich Letzteres gerade gestern einer Schreibfreundin geschrieben habe. Und vielleicht ist das Motto ja doch genau das richtige für mich. Denn ich bin Meisterin im Sorgen machen: Ich sorge mich um alles Mögliche und Unmögliche. Meist oder zumindest oft erweisen sich die Sorgen im Nachhinein als unbegründet. Also ab jetzt sechs Wochen ohne …

Wer sich für die Fastenaktion interessiert oder mitmachen möchte, kann sich unter 7wochenohne.de informieren und kostenlos anmelden.

* Für mich gilt eigentlich: kein Tag ohne Bücher! Bücher sind aus meinem Leben nicht wegzudenken. Und trotzdem zählen sie weder zu den Lebensmitteln noch zu den Dingen, die gekauft werden dürfen. Also keine neuen Bücher bis Ostern. Aber Ausleihen ist zum Glück erlaubt.

Noch ein Neues …

Gestern ist mein neues Notizbuch gekommen. „Noch eins“, sagen wahrscheinlich manche, die meine Vorliebe – oder soll ich sagen Schwäche – für gutes Papier und schöne Schreibhefte kennen. Und sie haben natürlich irgendwie recht. Denn in meinen Regalen stehen zahlreiche Kladden und Spiralhefte, leere, vollgeschriebene, vor allem aber viele angefangene. Aber obwohl ich schon manches ausprobiert habe, bin immer noch auf der Suche nach dem idealen Notizbuch. Das neue (Ring)Buch soll mir helfen, Ordnung in mein Notiz-Chaos zu bringen – und die leeren Seiten in den angefangenen Büchern zu nutzen.

Stapelweise angefangene Notizbücher

Die lose Zettelwirtschaft habe ich ebenso wie Notizen auf Karteikarten schon lange aufgegeben. Wenn ich aber meine Einfälle zu verschiedenen Projekten in einem Heft notiere, verliere ich schnell den Überblick. Denn ich schaffe es nur selten – oder besser gesagt nie – meine handschriftlichen Notizen regelmäßig zu bearbeiten oder zumindest im entsprechenden Ordner auf meinem Computer abzuspeichern. So manche gute Idee gerät dadurch in Vergessenheit – bis ich sie irgendwann, manchmal erst nach Abschluss des Projekts, per Zufall wiederentdecke. Nach anderen Formulierungen oder Notizen suche ich stunden- oder tagelang – manchmal vergebens.

Mit einem größeren Projekt beginne ich meist ein neues Notizbuch. Ist das Projekt dann im besten Fall beendet oder ich breche es unvollendet ab, bleiben in der Kladde oder im Spiralheft meist einige oder sogar viele Seiten leer. Sie werde ich künftig heraustrennen, lochen und in meinem neuen Notizbuch nach Projekten geordnet abheften. So bekommen zum Beispiel die noch unbeschriebenen Seiten aus dem wunderschönen Spiralheft, das ich mir vor Jahren im Dali-Museum in Figueres gekauft haben, ein neues Leben. Und das Cover werde ich mir, sobald das Spiralheft leer ist, an die Wand hängen. Denn „The Galatea of the Spheres“ ist eines meiner Lieblingsbilder von Salvador Dalí. Es zeigt Dalís Frau und Muse Gala, aus zahlreichen Kugeln zusammengesetzt.

Auch den Inhalt meines neuen Notizbuchs kann ich nach Belieben zusammenstellen, Blätter können in dem Ringbuch nach Bedarf ergänzt, verschoben und entfernt werden. Das Buch besteht laut Hersteller aus „veganem Leder“, nämlich aus SnapPap (http://www.vabelli.de/traveler-journals/). Das ist ein waschbares Papier in Lederoptik, das aus Zellulose und Latex hergestellt wird. Es enthält kein PVC, BPA oder Pentachlorphenol, soll nicht gesundheits- oder umweltschädlich, dafür aber reiß-, abriebfest und unempfindlich sein. Gepflegt werden muss mein neues, handgemachtes Notizbuch nach Herstellerangaben „eigentlich nicht“. Flecken können „vorsichtig mit einem feuchten Tuch“ entfernt werden“. Auch waschen und bügeln könnte ich es „theoretisch“ – allerdings nicht in der Waschmaschine, doch das habe ich ohnehin nicht vor.

Das Ringbuch muss allerdings einiges aushalten. Denn weil mir, wie vielen schreibenden Menschen, die besten Ideen oder Formulierungen eben nicht einfallen, wenn ich am Schreibtisch sitze, sondern irgendwann beim Einkaufen, beim Wandern oder im Cafe, in der Badewanne oder im Bett, habe ich mein Notizheft eigentlich immer dabei. Und unterwegs ist es in meinen Taschen manchem Stoß ausgesetzt und wird nicht immer pfleglich behandelt.

Veganes Leder rechts neu – und echtes Leder – mit Patina

Tagebuch, Kalender und Bulletjournal verkraften – geschützt durch einen  Lederumschlag – die Dauerbeanspruchung, der sie ausgesetzt sind, gut. Das Leder wird mit Zeit und Patina eigentlich immer schöner. Auch der Ordner aus SnaPap soll „durch die Benutzung eine lederähnliche Struktur“ bekommen, schreibt die Herstellerin. Ich bin gespannt.

Ilon Wikland: Eine lange Reise

Zurück in die Kindheit – oder in die Welt der Kinderbücher. Im Museum Wilhelm Busch habe ich noch einmal die Ausstellung „Von Haapsalu bis Bullerbü“ besucht, in der Bilder von Ilon Wikland gezeigt wurden. Bei meinem ersten Besuch vor einem Monat war es voll, zu voll, um sich die Zeichnungen in Ruhe anzusehen. Jetzt, kurz vor dem Ende der Ausstellung, war sie immer noch – oder wieder – ziemlich gut besucht.

Das Museum für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover, kurz Museum Wilhelm Busch

Kein Wunder – Ilon Wiklands Bilder kennen die meisten Kinder und viele Erwachsene. Denn sie hat außer „Michel aus Lönneberga“ und „Pippi Langstrumpf“ alle Kinderbücher von Astrid Lindgren, aber auch Bücher anderer AutorInnen illustriert.

Ich habe die Bücher von Astrid Lindgren erst spät entdeckt, die Illustrationen von Ilon Wikland sogar erst, als ich meiner Tochter die Bücher von Astrid Lindgren gekauft und vorgelesen habe. Als Kind habe ich nur „Rasmus, Pontus und der Schwertschlucker“ gelesen, eine Detektivgeschichte, die ich nicht sonderlich spannend fand.

Pippi Langstrumpf, Astrid Lindgrens wohl bekanntestes Buch, habe ich, wenn ich mich recht erinnere, erst Anfang der 70er-Jahre kennengelernt, als die Geschichten mit Inger Nilsson verfilmt wurden. Denn bei uns im Dorf gab es keinen Buchladen – und die kirchliche Leihbücherei war meist geschlossen. Pippi Langstrumpf habe ich dort ohnehin nicht gesehen, obwohl ich in der Bücherei geholfen habe. Die Geschichte eines selbstbewussten Mädchens, das alleine lebt, sich von Erwachsenen nichts vorschreiben lässt und sich die Welt macht, wie es ihm gefällt, in den Augen der für die Bibliothek und unser Seelenheil Verantwortlichen – und auch für meine Eltern – wohl keine geeignete Lektüre. Für „Die Kinder von Bullerbü“ konnte ich mich nie begeistern. Irgendwie war mir das im Buch geschilderte Dorf- und Familienleben viel zu idyllisch und mit meinen eigenen Erfahrungen nicht kompatibel.

Auch viele Zeichnungen von Ilon Wikland sind bunt und fröhlich, zeigen eine idyllische, heile Welt, wie man es (damals) in Kinderbüchern erwartete. Spielende, tobende Kinder oder Tischszenen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bücher und das Werk der Illustratorin. Aber immer wieder tauchen auch Kinder auf, die einsam und allein am Fenster, an der Tür oder wie auf dem Titel des autobiografischen Buchs einsam auf dem Bahnsteig stehen.

Traurig und tröstlich zugleich ist die Geschichte der „Brüder Löwenherz“. Ich habe sie vor zwei Jahren wiederentdeckt und wieder gelesen, als kurz nacheinander ein Freund und eine Freundin starben.

Meiner Tochter habe ich am liebsten die Geschichten von Lotta aus der Krachmacherstraße vorgelesen. Und als meine Enkelin neulich bei uns zu Besuch war, haben wir uns gemeinsam die alten Lotta-Filme angesehen und dann verschiedene Astrid-Lindgren-Bücher gelesen, die ich immer noch aufbewahre und in die ich immer wieder gerne hineinschaue.

Foto aus der Ausstellung. Die Rechte an den Zeichnungen liegen bei Ilon Wikland.

Dass Ilon Wikland ein Buch über ihre Kindheit in Estland und ihre Flucht nach Schweden gezeichnet hat, habe ich erst in der Ausstellung erfahren. Die Illustratorin, 1930 in Estland geboren, lebte nach der Trennung der Eltern bei ihren Großeltern in Haapsalu. Aus Furcht vor den Deportationen der Roten Armee schickte die Großmutter ihre erst 14 Jahre alte Enkelin 1944 allein nach Schweden. Dort wurde sie von einer Tante aufgenommen, besuchte die Schule und studierte anschließend an der Kunstakademie in Stockholm und in London. Seit den 1950er-Jahren arbeitete Ilon Wikland als Grafikerin für verschiedene Verlage und wurde von Astrid Lindgren entdeckt, die sie mit Probe-Illustrationen zu ihrem Kinderbuch „Mio, mein Mio“ beauftragte.

Inzwischen ist Ilon Wikland über 90 Jahre alt. Ihre Erlebnisse in der Kindheit in Estland, auf der Flucht nach und im Exil in Schweden hat sie in dem Buch „Die lange, lange Reise“ thematisiert und verarbeitet. Es ist laut Pressemitteilung des Wilhelm Busch Museums, „das einzige von ihr illustrierte Buch, bei dem es erst die Bilder und dann den Text gab“. Den Text dazu hat Rose Lagercrantz geschrieben.

Ich würde die Geschichte gerne lesen, denn die Zeichnungen in der Ausstellung haben mich wirklich beeindruckt. Doch leider ist das Buch derzeit vergriffen. Aber vielleicht findet sich ja ein Verlag, der es neu auflegt. Denn die Themen Panzer, Krieg, Flucht und Exil sind ja zurzeit leider aktueller denn je.